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SüdOst: Kisskalt hat Kampfgeist

Taekwondo-Talent mit Traum von Olympia

Anja Kisskalt träumt den Traum von Olympia. Doch das Auswahlverfahren im Taekwondo ist hart und die bundesweite Konkurrenz stark. Ihr Ziel hat sie trotzdem klar und fest im Visier. "Man braucht solche Ziele im Leben", sagt die 18-Jährige, die als Kind einer Thailänderin und eines Franken in der Heimat der Mutter aufgewachsen ist. Dort wurde auch ihre Leidenschaft für den Kampfsport geweckt. Mittlerweile trainiert sie regelmäßig im Bundesstützpunkt Taekwondo an der Karl-Schönleben-Straße, den die WBG KOMMUNAL im November 2018 fertig gestellt hat.

Kisskalt ist erfolgreich, sammelt eifrig Pokale, Medaillen und Urkunden und hat schon fast den Überblick verloren. Wie oft sie sich einen Podestplatz sichern konnte? Sie weiß es nicht so genau. Da spickt sie gerne mal im Internet in ihrem persönlichen Leistungsverzeichnis, in dem herausragende Ergebnisse gelistet sind. Wie beispielsweise ihre Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft in Korea, ihr bislang größter Erfolg. Im vergangenen Jahr sicherte sie sich erneut den ersten Platz bei der Deutschen Meisterschaft in der Gewichtsklasse "Junior bis 49 Kilogramm". Damit ist sie nun vierfache Deutsche Meisterin. Ebenfalls im vergangenen Jahr erkämpfte sie sich die Bronzemedaille bei der Jugend-Europameisterschaft in Spanien.

In ihre "Damenzeit" als Kampfsportlerin ist sie mit ihrer Volljährigkeit im Februar gestartet. Bei den Olympischen Spielen im Jahr 2024 wäre sie dann gerne mit von der Partie. Die Nationalmannschaft wird allerdings gerade mal zwei Sportlerinnen dafür nominieren, weiß Kisskalt. "Das wird nicht einfach, die Konkurrenz ist groß", sagt sie und ist sich bewusst, dass sie einen langen Atem brauchen wird, zudem eine gute Portion Glück, Durchhaltevermögen, Stärke, einen eisernen Willen, und dass sie kontinuierlich erstklassige Leistung abliefern werden muss. Sie ist bereit. Der Ehrgeiz ist da, das Talent sowieso.

Das zeigte sich bereits vor nunmehr elf Jahren, als Kisskalt in Thailand mit dem Taekwondo begann. "Ich war leicht aufgedreht als Kind, habe immer Vollgas gegeben", erinnert sie sich. Also entschied ihre Mutter, dass die Tochter nach der Schule einen Ausgleich bräuchte und schickte sie ins Kampfsport-Training. Für Anja genau das Richtige, wie sich zeigte. Sie entwickelte einen enormen Ehrgeiz und wurde immer besser. Schon bald erkannte sie die vielen weiteren positiven Nebeneffekte ihres neuen Hobbys: "Man lernt Disziplin und seinen Körper zu kontrollieren, außerdem ist man fit. Und der Sport weckt die Motivation, er führt zu einer optimistischen Einstellung."

Seit 2009 lebt Kisskalt nun schon in einer wbg-Wohnung in Nürnberg. Eine sportliche Heimat hat sie bei der "Taekwondo Elite Nürnberg" an der Rosenplütstraße 19 gefunden. Sie besuchte die Bertolt-Brecht-Schule und machte ihren Realschulabschluss. Mittlerweile geht sie auf die Lothar-von-Faber-Schule an der Schafhofstraße, eine Staatliche Fachoberschule (FOS). Die hat Kisskalt sich bewusst ausgesucht. Neben Gestaltung, Sozialwesen sowie Wirtschaft und Verwaltung gibt es hier nämlich auch Leistungssportklassen. Dadurch ist es für die 18-jährige leichter, Sport und Schule miteinander zu vereinbaren. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, ihr tägliches Pensum ist enorm. Dienstags und donnerstags trainiert sie meist ab 7.45 Uhr, um 9.15 Uhr ist Schluss und es geht zur Schule. Weitere Trainingseinheiten stehen am Montag-, Dienstag-, Donnerstag- und Freitagabend auf dem Programm. Mal trifft man sie im Bundesstützpunkt, mal in den Hallen ihres Heimatvereins.

Die Wochenenden sind meist für Wettkämpfe reserviert oder für die Vorbereitungen darauf. Viel Zeit für andere Hobbys bleibt nicht. Früher hat sie zusätzlich Hip-Hop getanzt, heute schafft sie es hin und wieder mal, freitags mit ihren Freunden um die Häuser zu ziehen. "Ich musste schon oft Nein sagen, aber meine Freunde verstehen das." Pausiert sie mal zu lange, bekommt sie das zu spüren. "Meine Leistung sinkt und ich muss mehr tun, um sie wieder auf das ursprüngliche Niveau zu bekommen." Ans Aufhören hat sie aber noch nie gedacht. Obwohl das Training mitunter echt hart ist: Vor allem Kraft-, Intervall- und Lauftraining stehen auf dem Plan und sollen Stärke und Ausdauer fördern. Häufig ist Kisskalt dabei mit sich und ihren Gedanken allein.

So zum Beispiel im Kraftraum des Bundesstützpunktes Taekwondo. Dass sie die Einrichtung direkt vor der Haustür hat, ist für sie ein Glücksfall. Die Ausstattung ist optimal. Mit einer Nutzfläche von 1 340 Quadratmetern beinhaltet der Bau zwei Trainingshallen mit bis zu acht Wettkampfflächen. Dazu kommen Sanitär- und Umkleideräume. Außerdem stehen Räume für Trainer, Physiotherapeuten sowie ein Seminarraum zur Verfügung. Dieses in Deutschland bislang einzigartige Zentrum, das der professionellen Fortbildung der Leistungssportler dient, war vom September 2017 bis November 2018 von der WBG KOMMUNAL errichtet worden. Betrieben wird es von der Deutschen und der Bayerischen Taekwondo Union e.V.

Neben ihrem Training hat Kisskalt hier schon einige Lehrgänge absolviert. So werden die Sportler in Kursen regelmäßig mental gestärkt und auf Wettkämpfe vorbereitet. Wie behält man in Extremsituationen einen kühlen Kopf? Was kann man tun, um sich zu fokussieren und nicht ablenken zu lassen? Warum kann Leistungsstärke im Kampf nicht abgerufen werden? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Kisskalt immer wieder und lernt dabei auch viel über sich selbst. "Ich werde schnell nervös und hektisch, dann kippt es im Kopf", sagt die sie und weiß, dass sie sich dann auf ihre Stärken besinnen muss und darauf, dass sie es kann. Auch lasse sie sich noch immer viel zu leicht ablenken, beispielsweise von Kampfrichtern oder Minuspunkten. Doch langsam, aber sicher kann sie den Schalter immer schneller umlegen. Dann gelingt es ihr, sich Chancen zurückzuerobern. "Man muss bis zur letzten Sekunde kämpfen. Und auch, wenn man weit hinten liegt, kann man wieder aufholen. Ich habe in dem Moment ja ohnehin nichts mehr zu verlieren", sagt sie und lacht. Wie man mit Niederlagen umgeht, musste sie ebenfalls erst einmal lernen. Dabei bleibt es nicht aus, dass sie sich hin und wieder einfach mächtig über sich selbst ärgert. "Man hat es drauf und verliert zum Beispiel in der letzten Sekunde wegen eines einzigen Punktes. Da bin ich dann von mir selbst enttäuscht, es verbockt zu haben."

Olympia 2024 fest im Visier, soll ihre Siegesserie nun möglichst nicht mehr abreißen. "Jeder Sportler will doch mal zu den Olympischen Spielen. Ich träume davon, seit ich sieben Jahre alt bin", erzählt Kisskalt, für die "dabei sein" alles wäre. Sollte dann noch eine Medaille mit nach Hause fahren, wäre das Glücksmaß übervoll. Ihren Glücksbringer hat sie deswegen immer bei sich: eine Kette mit zwei Schwänen, ein Geschenk ihrer Mutter.

Was sie mal beruflich machen will, hat Kisskalt noch nicht entschieden. Erst einmal will sie das Fachabitur machen. Anschließend soll vielleicht ein Sportstudium folgen. Oder ein Studium der Innenarchitektur. "Das wäre mein Plan B. Ich zeichne gerne und interessiere mich für Gestaltung." Doch bis in diesem Lebensbereich eine Entscheidung ansteht, will sie ihren Sport in vollen Zügen genießen. Denn wer wie Kisskalt zu den Nachwuchshoffnungen im Taekwondo-Spitzensport zählt, fest zum so genannten "Perspektivkader" gehört und mit eisernem Willen voran geht, kommt auch viel in der Welt rum. Belgrad, Zagreb, Antalya, Innsbruck, Straßburg, Eindhoven, Maribor, Istanbul - alles Orte, in denen sie Wettkämpfe bestritten hat. Durch ihren Sport hat sie viele internationale Freunde gefunden. Und irgendwann, so Kisskalt, wird sie es dann tun: Eine Weltkarte aufhängen, und mit bunten Pinnadeln sämtliche Orte kennzeichnen, in denen sie schon einmal gewesen ist.

Text und Fotos: Nina Daebel