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Unbeliebtes Ungeziefer

Sie krabbeln, beißen, stechen, flattern oder nagen: Schädlinge in der Wohnung sind ungeliebte Mitbewohner, die man möglichst schnell wieder loswerden möchte. Doch der Kampf gegen das Ungeziefer kann zur Geduldsprobe werden. Kleider- oder Lebensmittelmotten sind mitunter genauso hartnäckige Mieter wie Ratten, Schaben, Silberfische oder Fruchtfliegen. Doch was tun, wenn das Getier nicht ausziehen will? "Hinschauen statt draufhauen", rät die Schädlingsbiologin Eva Scholl aus Nürnberg. Sie berät seit rund 40 Jahren bei allen Fragen rund um die Schädlingsbekämpfung und sorgt dafür, dass Schaben und Co. wieder den Rückzug antreten.

Das genaue Hinschauen ist Scholl zufolge vor allem deswegen so wichtig, weil man erst einmal klären müsse, mit welcher Art von Ungeziefer man es überhaupt zu tun habe. So gibt es in Deutschland zum Beispiel sehr viele verschiedene Ameisen-Arten. Einige davon sind geschützt und dürfen nicht vernichtet werden. Die jeweilige Art korrekt zu bestimmen, ist für einen Laien allerdings nahezu unmöglich. Und auch bei der Wahl eines Schädlingsbekämpfers rät die Diplom-Biologin zur Wachsamkeit. Wer im Internet recherchiere, sollte sich demnach immer zuerst das Impressum anschauen, um die Seriosität des Anbieters abzuklären. Denn nicht, wer das meiste Gift einsetze, sei auch der fachkundigste Helfer in der Not, so Scholl.

Eva Scholl aus Nürnberg ist Diplom-Biologin und Entomologist, Insektenkundlerin. Seit rund 40 Jahren ist sie nun schon als Schädlingsbiologin aktiv. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen sind immer dann gefragt, wenn Ungeziefer abgewehrt werden muss. Sie hat zum Thema publiziert, schreibt Gutachten und war für das Umweltbundesamt tätig, außerdem für Lebensmittelbetriebe, das Hotel- und Gastgewerbe, Universitäten und Stadtverwaltungen, Großbetriebe und Privathaushalte gehören ebenfalls zu ihren Auftraggebern. WfS-Mitarbeiterin Nina Daebel hat mit der Expertin über Bettwanzen, Ameisen, Motten, Milben und Ratten gesprochen, wie man sie bezwingen und was man vorbeugend gegen die ungeliebten Mitbewohner tun kann.

Welche Schädlinge gibt es in Wohnungen am häufigsten?

"Welche Schädlinge in Wohnungen auftauchen, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Zum Beispiel von der Jahres- und Tageszeit und von den individuellen Lebensgewohnheiten der Menschen. Auch braucht jeder Schädling eine passende ökologische Nische, ein passendes Nest. Nur wenn das passt, kann er überleben. Mit Blick auf das kommende Frühjahr sollte man auf Ratten achten, die sich bald rasend schnell vermehren werden. Man sollte möglichst bald einen möglichen Befall erkennen und handeln. Eine relativ neue Plage, die sich zunehmend ausbreitet, sind die Bettwanzen. Sie waren früher vor allem ein Problem der Armen. Mittlerweile werden sie von Luxusreisenden im Rucksack mit nach Hause gebracht."

Gibt es Schädlinge, bei denen man selbst nichts tun kann, bzw. sollte und bei denen professionelle Hilfe ratsam ist?

"Ja, bei allen geschützten Tieren sollte man nur Experten ranlassen. Dazu zählen zum Beispiel einige Ameisen-Arten. Wichtig ist, die Schädlings-Art zu bestimmen. Als Laie ist das nicht immer ganz einfach. Deswegen ist eine fachliche Beratung mitunter sehr hilfreich. Es gibt in Deutschland sehr viele verschiedene Ameisen-Arten. Ob es sich um eine geschützte Art handelt, kann nur ein Profi herausfinden. Sofort aktiv werden muss man unter anderem bei Ratten, invasiven Ameisen, Vogelmilben, Schaben und Mäusen sowie bei Massenvermehrungen bestimmter Fliegenarten. Hier darf man keine Zeit verlieren. Die Tiere richten sich in unseren Behausungen rasch ihre eigenen Infrastrukturen ein und sind dann umso schwieriger wieder loszuwerden, je länger sie dafür Zeit haben."

Kann in einem Wohnblock ein Schädlingsbefall auch auf andere Appartements übergreifen oder bleibt er lokal begrenzt?

"Eine Verbreitung ist sehr leicht möglich. Invasive Ameisen zum Beispiel haben schon ganze Stadtteile befallen. Jeder Versuch, sie zu vertreiben, ist gescheitert. Es wurden schon Hochhäuser abgerissen, weil winzige Pharaoameisen sich breit gemacht hatten. Ein anderes Beispiel betrifft die Bettwanzen. In einem Wohnheim mit 320 Räumen auf zehn Etagen, gab es sie zuerst nur in einem einzigen Zimmer. Mit konventioneller Bekämpfung der einzelnen Räume waren innerhalb von zwei Jahren zwanzig Prozent der Räume befallen. Auch Schaben, Ratten und Mäuse beschränken sich auf die Dauer kaum auf ein Zimmer oder eine Wohnung."

Gibt es bei der Schädlingsbekämpfung schnelle Lösungen oder braucht man mitunter einen langen Atem, um diese restlos aus der Wohnung zu verbannen?

"Bei manchen Schädlingen genügt es, die innere Einstellung zu verändern. Einige sind ganz einfach zu beseitigen und/oder sie sind völlig harmlos. Da muss man dann eigentlich gar nichts tun. Dann gibt es welche, mit denen muss man leben lernen. Und bei wieder anderen kann man nur noch raten, sofort umzuziehen."

Wie sollte man vorgehen, wenn man einen Schädlings-Befall feststellt?

"Man sollte zuerst herausfinden (lassen), was genau es für ein Schädling ist. Außerdem muss klar sein, wie viele es sind und wo genau sie zu finden sind. Anschließend kann man darüber nachdenken, wie sie zu bekämpfen sind, gegebenenfalls muss man einen professionellen Schädlingsbekämpfer einbeziehen. Hier muss man genau aufpassen und lernen, Abzocker zu erkennen. Denn die Qualitäten unterscheiden sich schon sehr voneinander. Wenn die Kosten sich vor allem aus der verbrauchten Giftmenge errechnen und die Beratung nur nebenbei berücksichtigt wird, ist Skepsis angebracht. Ich rate dazu, sich im Zweifel drei Angebote einzuholen, genau hinzuschauen und dann zu entscheiden. Bei Internet-Recherchen sollte man sich das Impressum genau angucken. Teilweise ist es schwierig, herauszufinden, wer dahintersteckt und ob der Anbieter seriös ist."

Sind biologische Mittel genauso wirksam wie chemische?

"Richtig eingesetzt, sind biologische Mittel viel besser als chemische, allerdings überwiegend außerhalb von Gebäuden. Wenn aber zuvor versucht wurde, das Problem mit Chemie zu lösen und dieses Gift dauerhaft wirkt, dann kann man auch mit einem biologischen Mittel nichts mehr ausrichten. Das Einsetzen biologischer Mittel ist außerdem eine Wissenschaft für sich. Selbst unter Fachleuten gibt es viele Missverständnisse."

Muss man Schädlinge in der Wohnung/auf dem Balkon immer bekämpfen oder gibt es "friedliche" Formen der Koexistenz von Mensch und Schädling?

"Vieles ist harmlos und eine Frage der Toleranz. Ein Wespennest muss man zum Beispiel allenfalls dann entfernen, wenn es massiv stört. Das Nest wird nur ein einziges Mal genutzt. Wenn im Herbst die Königin stirbt, wandern die letzten Tiere ab. Es wird jedes Jahr ein neues Nest an einer anderen Stelle gebaut. Grundsätzlich sind klare Grenzen eine gute Voraussetzung für eine mögliche Koexistenz von Mensch und Schädling. Wer sein Holz direkt am Haus lagert, muss damit rechnen, dass Holzschädlinge irgendwann auch ins Haus umziehen. Und das Apfellager in der Garage zieht natürlich Mäuse an. Wenn man das Überspringen ins Haus verhindern will, kann man schlicht raten: weg vom Boden, weg von der Wand."

Gibt es etwas, das man vorbeugend gegen Schädlinge tun kann?

"Man sollte sich mit ihren Lebensgewohnheiten beschäftigen und dafür sorgen, dass ihnen die Lebensgrundlagen entzogen sind. Dazu gehören unter anderem Nahrung, Wasser und ein Versteck. Lebensmittelmotten zum Beispiel vermehren sich dort, wo sie all das haben. Wer nur so viele Nahrungsmittel zu Hause hat, wie er wirklich braucht oder sie bei Vorratshaltung gleich einfriert, wird mit diesen Tieren kaum Probleme kriegen können.

Ratsam ist natürlich auch, regelmäßig aufzuräumen, sauber zu machen und sich gesund zu schrumpfen. Quasi vom Bedürfnis zum wahren Bedarf. Die Schädlinge sind hier wie kleine Qualitätskontrolleure. Sie tauchen dort auf, wo etwas fehlerhaft ist.

Ich kann bei einem Schädlingsbefall nur immer wieder raten: Hinschauen statt draufhauen. Wer die Lebewesen in ihrem Lebensraum kennenlernt, wird auch Wege finden, mit ihnen klar zu kommen. Aber, und auch das sollte einem bewusst sein, manche kriegt man nicht mehr weg, wenn sie einmal da sind. Und über andere weiß man einfach immer noch nicht genug, um sie nachhaltig beseitigen zu können."

TIPP: Für den Bund Naturschutz in Bayern (BUND), Kreisgruppe Nürnberg, hat Eva Scholl gemäß ihrem Motto "Hinschauen statt draufhauen" einen kleinen „Bestimmungsschlüssel für Ungeziefer und Vorratsschädlinge" erarbeitet, darunter Schabenlarven, Flöhe, Läuse, Silberfischchen und Springschwänze.

http://schaedlingsbiologie.de/files/content/downloads/Bestimmungsschluessel_Hausungeziefer_Vorratsschaedlinge.pdf

Weiteres Wissenswertes unter:

https://schaedlingsbiologie.de/home.html

Schädlingsbiologin Eva Scholl


Foto: privat