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Ein "Grenzgang" in BETHANG

Die wbg 2000 Stiftung fördert die Umsetzung eines Rundwanderwegs – eine Idee des Künstlers Karsten Neumann.

Im Stadtgründungsbüro von BETHANG an der FürTHer Straße in Nürnberg herrscht künstlerisch-geordnetes Chaos. Der Computer und die Kaffeemaschine laufen und Karsten Neumann sagt, dass er eigentlich 50 Mitarbeiter und drei Bürgermeister anstellen müsste. Er selbst kann die Berge an notwendiger Verwaltungsarbeit kaum noch bewältigen. Mittlerweile sei er Frühaufsteher geworden, aber selbst das verschaffe ihm nur wenige zusätzliche Stunden fürs Schreiben von Konzepten und Leserbriefen und das Erdenken neuer Ideen. BETHANG ist Neumanns Lebensaufgabe geworden, sein Lebenswerk. Doch was genau ist diese Kunststadt eigentlich, die vor nunmehr 18 Jahren erstmals durch den Neumann-Kopf geisterte?

Damals war der heute 57-Jährige als Stadtratskandidat der kommunalen Wählergruppe "Die Guten" angetreten. Dabei kam ihm irgendwann "die Schnapsidee", NürnBErg, FürTH und ErlANGen fusionieren zu lassen und aus drei Städten eine Kommune zu machen: BETHANG. Die Kunststadt wurde Teil seines politischen Programms. Nachdem aus der Politiker-Karriere dann aber nichts wurde, machte Neumann, der an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studiert hat, Bethang zum Hauptwerk seines kreativen Schaffens. Ihr Grundsriss dient als Stadtwappen, ergänzt durch drei Ringe als Symbole des Städtedreiecks. Ein Ortsschild gibt es mittlerweile auch. "stadt der kultur und des geistes" lautet der darauf ergänzte Untertitel.  

Das Konstrukt und die Idee dahinter sind komplex. Einmal verstanden, erkennt man, wie viel Wahres darin steckt. Denn längst ist deutlich erkennbar, dass sich Nürnberg, Fürth und Erlangen auch baulich immer weiter annähern. Vielleicht, in ferner Zukunft, könnte es tatsächlich zu einer Fusionierung der drei Städte kommen? Punktuell ist Bethang bereits greifbar. Es gibt Postkarten aus Bethang und eine CD, "eine musikalische reise durch den verdichtungsraum NürnBErg, FürTH und ErlANGen". Außerdem gab es mal die Bethanger Kalbsbratwurst. Doch die verschwand irgendwann wieder vom Markt. "Hätte es sie weiter geben sollen, hätte ich mir einen Imbisswagen anschaffen und die Wurst selbst verkaufen müssen", erzählt der 57-Jährige. Dann wäre er Wurstverkäufer geworden und das sei ihm auf Dauer dann doch "zu wenig" gewesen.

Der Bethanger Wanderweg hingegen, ist mittlerweile dauerhaft realisiert und manifestiert worden. Im März dieses Jahres erschien der dazu gehörige Wanderführer im Cadolzburger ars vivendi Verlag. 136 Seiten stark, für 13 Euro, herausgegeben vom Fränkischen Albverein. Darin enthalten sind zehn leicht zu bewältigende Wanderetappen mit Tourenkarten sowie zahlreiche Informationen zu Natur, Geschichte und diversen Sehenswürdigkeiten auf der Strecke. Start und Ziel der Etappen sind jeweils mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Außerdem kann man die Etappenlängen flexibel einteilen und mit anderen Wanderwegen kombinieren, zum Beispiel dem Pegnitztalweg, dem Jakobsweg und dem Fürther Naturpfad.

Der Ursprung dieses Wanderführers geht zurück auf Neumanns Performance mit dem Titel "grenzgang". Im Jahr 2013 hat er sieben Tage lang die Außengrenzen Bethangs abgewandert. Mit viel Gepäck. "Viel zu viel. Das war völlig irre", sagt er rückblickend. Rund 130 Kilometer weit trug er Zelt, Schlafsack, Wasser, Verpflegung und mehr. In sieben Etappen. Für Neumann war die Wanderung eine beeindruckende Erfahrung. "An den Außengrenzen sammelt man Eindrücke und Erkenntnisse, die man nicht wahrnimmt, wenn man sich nur innerhalb der Stadt bewegt." Der Perspektivenwechsel, nun von außen auf die Stadt zu schauen, hat Neumann unter anderem "gesellschaftliche Phänomene" sehen lassen, "die beeindruckten". Zum Beispiel "Vorgärten". Kalt erwischt hat ihn hingegen die Tatsache, dass es am Stadtrand keine Läden gibt, in denen man sich bei Lust und Laune mal schnell eine Vesper kaufen kann. Die Strecke durch das Naturschutzgebiet "Hainberg" bei Oberasbach und der plötzliche Wechsel hin zur vier-spurigen Ausfallstraße hat sich ihm indes besonders eingeprägt. Der Kontrast war eben sehr krass.   

2017 ist Neumann seinen Bethang-Wanderweg noch einmal abgelaufen. Diesmal mit Trekking-App und Fotoapparat. Wieder nur im Uhrzeigersinn. Nach dieser erneuten Aktion traf er irgendwann zufällig auf Andreas Schettler, den Wegemeister des Fränkischen Albvereins. Man kam ins Gespräch. Später entstand eine Zusammenarbeit und der Fränkische Albverein sorgte dafür, dass 4000 Bethang-Wegemarkierungen angebracht wurden. Die sind leicht zu erkennen und zeigen das Stadtwappen der Kunststadt: auf grellgrünem Untergrund ist in Lila die Bethang-Silhouette abgebildet, rechts daneben sieht man die drei lilafarbenen Kreise. Finanziell wurde die Konzipierung des Rundwanderweges von der wbg 2000 Stiftung großzügig unterstützt. "Dass es diesen Wanderweg nun wirklich gibt, ist eine große Sache und ein Meilenstein für Bethang, das dadurch langfristig manifestiert wird", sagt Neumann.

Andrea Dippel, Leiterin der Kunstvilla in Nürnberg, schrieb dazu im Vorwort des Wanderführers, dass Bethang nun in der Realität angekommen sei. "Aus der Utopie wurde eine Realutopie", heißt es. Darauf angesprochen, erklärt Neumann, dass er mit dem Utopie-Begriff eigentlich so gar nichts am Hut habe. "Bethang war und ist für mich eine Stadt - und Punkt." Utopie sei ein viel zu philosophischer Begriff, "mit dem sich die Leute seit Jahrhunderten auseinandersetzen". Ja, er gestehe, das mit der Utopie anfangs selbst übernommen zu haben. "Und jetzt stehe ich da mit dem Utopie-Salat", sagt er, lacht und zuckt mit den Schultern.

Rund hundert Bethang-Kunst-Aktionen hat Neumann bislang umgesetzt, darunter Performances, Lesungen und Ausstellungen mit seinen speziellen Leuchtobjekten. Er hat Straßen, Plätze sowie Bahnhöfe umbenannt und sein Fahrrad aus Protest gegen die Verkehrspolitik durch die Stadt getragen. Und er gestaltet Bethang-Mandalas. Für diese Gemälde nutzt er Radkappen als Bildträger. Seine Farben sind Plastikblumen sowie Verschlusskappen und als Pinsel nutzt er einen Akkuschrauber. Grell farbiges Plastik ist ohnehin der Stoff seiner Wahl. Er sammelt und sucht in ganz Bethang nach Plastikmüll, um ihn in Kunstobjekten wiederzuverwerten. Es sind vor allem die vielfältigen Farben dieses Materials, die ihn begeistern. Damit er immer den Zugriff auf eine ausreichende Menge davon hat, ist ein Raum im Stadtgründungsbüro zum Plastik-Lager umfunktioniert worden. Hier stapeln sich derzeit vor allem Kanister in Rot, Grau, Weiß, Blau und Gelb. Sie sind der Anfang einer neuen Bethang-Aktion. Insgesamt 37 solcher Kanister will Neumann sammeln, daraus Leuchtobjekte gestalten und sie verkaufen. Ein Teil der Summe soll in den Kauf von Bäumen investiert werden, die dann wiederum in jeden Postleitzahlenbezirk von Nürnberg, Fürth und Erlangen gepflanzt werden sollen - insgesamt 37. Doch damit das Konzept umgesetzt werden kann, wird Neumann noch viele Briefe an städtische Behörden schreiben müssen. "Die Städte müssen sich ja schließlich auch mit Bäumen beschenken lassen wollen", so der Künstler, der mit Kommunalverwaltungen so seine Erfahrungen gemacht hat - positive wie negative und mitunter auch absurde.

Seine Idee, Solaranlagen auf der Nürnberger Burg und auf der Zeppelintribüne errichten zu lassen, sei nicht so gut angekommen. "Nicht möglich", hieß es. Doch nicht etwa wegen des Denkmalschutzes, wie man erwarten könnte, sondern wegen des Brandschutzes, erklärt Neumann und lacht wieder. Er weiß, dass er die Mitarbeiter in den Verwaltungen mit vielen seiner Anfragen vermutlich nervt. "Ich bin halt unbequem, mische mich gerne in Verwaltung und die Stadtplanung ein." Dabei sieht er ein großes Potenzial, das er als Künstler einbringen könnte. Ein Projekt zur "Stadtentwicklung im Verdichtungsraum aus künstlerischer Sicht" zum Beispiel. Das fehle seiner Meinung nach bislang und könnte der Verwaltung durchaus neue Erkenntnisse bringen. Bis es vielleicht doch irgendwann einmal dazu kommt, macht er mit Bethang weiter. Und ganz seinem buddhistischen Glauben folgend, geht er augenzwinkernd davon aus: "In diesem Leben bin ich Stadtgründer, im nächsten werde ich Bürgermeister."

Der Wanderführer

Cover Bethang Wanderführer

Ursprünglich ein Kunstprojekt rund um eine utopische Stadtidee, bezeichnet es jetzt auch den neuen Wanderweg des Fränkischen Albvereins.

  • 10 leicht zu bewältigende Wanderetappen mit Tourenkarte.
  • Nachhaltig wandern: Start- und Zielpunkte lassen sich bequem zu Fuß oder mit dem ÖPNV erreichen.
  • Die Etappenlängen sind flexibel einteilbar und kombinierbar mit anderen Wanderwegen.
  • Persönliche Tipps zu Geschichte, Sehenswürdigkeiten und Einkehr.
  • Landschaftlich, kulturell und architektonisch Unerwartetes entdecken.
  • 130 km Wanderwege entlang der Außengrenzen von Nürnberg, Fürth & Erlangen.

Rund hundert Bethang-Kunst-Aktionen hat Neumann bislang umgesetzt, auch Ausstellungen mit seinen speziellen Leuchtobjekten. Und er gestaltet Bethang-Mandalas. Für diese Gemälde nutzt er Radkappen als Bildträger, seine Farben sind Plastikblumen und Verschlusskappen. Er sammelt und sucht in ganz Bethang nach Plastikmüll, um ihn in Kunstobjekten wiederzuverwerten - selbst Polizeiabsperrbände.