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Das Waagrelief

Okay, vielleicht sind es wirklich nicht die smartesten Herren, die uns da anblicken, aber immerhin walten sie ihres Amtes schon seit mehr als 500 Jahren in relativ luftiger Höhe. Und wer kann schon von sich behaupten, er wäre Teil eines Wandcomics?

Um so etwas handelt es sich ja hier irgendwie: viel Bild, wenig Text, eine Zahl und allen ist alles klar. Zumindest damals, vor 500 Jahren. Besser gesagt, vor 524 Jahren. 1497 entstand das Hauszeichen. Kann man an der großen Zahl ablesen „anno 1497“. Die Sieben sieht ein bisschen aus wie eine Eins, aber wenn man sie mit der Eins vergleicht, dann sieht man, dass es keine Eins ist und der Auftrag war auch nicht von 1491.

Was kann man noch auf dem Comic erkennen? Drei Männer, stehen rum und schauen komisch. Der in der Mitte sieht aus, als ob er gar nichts sehen würde. Dabei stimmt das gar nicht. Der muss sogar ganz genau schauen können, und zwar zu dem Bauteil direkt über ihm. Das ist wichtig, es gibt den Ausschlag. Vielleicht tut er so als ob er in den Himmel schauen würde, aber das Relief war auch mal farbig gefasst gewesen und da sah's dann eben doch so aus, als ob er an eine bestimmte Stelle schaut.

Was gibt’s noch zu sehen? Einer der Herren wühlt in einem Geldbeutel. Sogar die Münzen darin kann man erkennen. Hier zeigt sich, warum wir von Geldbeuteln reden: weil es früher Beutel waren. Heute sieht man sie nur noch selten bei Bräuten, als Accessoire zu ihrem Hochzeitskleid. Elegant gekleidet ist auch unser Mann hier, wie es sich für Kaufleute geziemte. Zwischen ihm und dem Herrn in der Mitte ist ein riesiger Warenballen. Vielleicht Stoff. Auf der anderen Seite steht ein jüngerer Mann in Arbeitskleidung, der ziemlich gelangweilt seinen Job verrichtet: Gewichte auflegen und wieder abnehmen. Stellt sich die Frage: Wem gehört die Ware? Dem Gelangweilten? Dem in der Mitte, der gar nicht zur Ware schaut, oder dem, der nach dem Geld kramt? Oder am Ende gar keinem, und was machen die da überhaupt? 

Tatsächlich gehört die Ware dem, der das Geld rausnimmt. Wir sind nämlich am Gebäude der alt-„Unteren Stadtwaage“, in der Winklerstraße bei der Sebalduskirche. Heute steht hier die IHK, und das Relief ist eine Kopie des Originals, das sicher vor Umwelteinflüssen im GNM seinen Ruheplatz nach dem 2. Weltkrieg gefunden hat. Das Original war über der Haustür angebracht. Spätestens hier wussten die Händler, dass sie an der richtigen Stelle sind, denn hier mussten sie für ihre Waren Steuern bezahlen. Da kann man schon verstehen, dass der Kaufmann, dem die Ware gehört, ziemlich griesgrämig dreinblickt. Allerdings kann er sich zumindest sicher sein, dass ein anderer Kaufmann für die gleiche Ware mit der gleichen Qualität und dem gleichen Gewicht auch die gleiche Summe bezahlen muss, denn darauf zu achten, das war die Aufgabe des Waagmeisters, der in der Mitte steht. Er war ein städtischer Angestellter, der gut verdiente, damit er nicht in Versuchung geriet, sich bestechen zu lassen, und der darauf jedes Jahr aufs Neue einen Eid schwor. Hinter ihm steht es deshalb auch für alle gut erkennbar: „Dir als ein andern“: hier wird jeder gleichbehandelt. Hier herrschen Unbestechlichkeit, Gerechtigkeit und Gleichheit.

Woher weiß unser Waagmeister jetzt aber, wann genug Gewichte auf der Waage liegen, wann die Seite mit den Gewichten genauso schwer ist wie die Seite mit der Handelsware, die Waage also im Gleichgewicht ist? Genau, er schaut nach oben an den Waagbalken. Der ist dann im Gleichgewicht, wenn die beiden Zeiger darüber direkt parallel aufeinander liegen. Der eine ist fest, der andere beweglich. Dieser kleine gibt den Ausschlag. Und dieser Zeiger hat auch einen Namen: „Das Zünglein an der Waage“. Oft sind es eben die kleinen Dinge, die den Ausschlag geben und man muss genau hinsehen, um sie zu erkennen.

Erkennen Sie auch eines der beiden Wappen, die sich noch auf dem Relief befinden? Nürnberg? Links? Rechts? Ja, sowohl links als auch rechts. Als eine der wenigen Städte führe Nürnberg aus mancherlei Gründen zwei Wappen. Oberhalb des Kaufmanns ist das kleine Stadtwappen, der halbe Adler am Spalt. Seit ungefähr 1350 ist dieses Wappen in Gebrauch. Es diente auch als Rücksiegel für das Hauptwappen. Das andere sieht man nicht so oft. Außer man korrespondiert öfter mit dem Nürnberger Oberbürgermeister. Auf dessen Briefpapier darf der Königskopfadler (hat nichts damit zu tun, dass der aktuelle Oberbürgermeister König heißt) nicht fehlen. Seit 1254 wird dieses Wappen verwendet. Als Siegel benutzt, waren die beiden Wappen auch eine Art Warenschutzzeichen, wie man es heute von Stempeln kennt. Immerhin war Nürnberg um 1500 eine der bedeutendsten Handelsstädte in Europa.

Vielleicht fragen Sie sich noch, wer das Relief gemacht hat: Kein Geringer als Adam Kraft führte den Auftrag aus. Wenn man sich das Relief genau anschaut, dann merkt man auch, dass das ein Könner gewesen sein muss: die Durchbrechungen bei den Beinen oder bei den Kettengliedern, die meinen lassen, sie würden in der Luft schweben. Wie gesagt, die kleinen Dinge geben manchmal den Ausschlag.

Text: Erika Wirth

Quellen:        
u.a. F. M. Kammel, Hrsg.: Adam Kraft – Die Beiträge des Kolloquiums im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 2002
M. Diefenbacher und R. Endres: Stadtlexikon Nürnberg, Nürnberg 2000

Foto: Axel Rieger