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Der Irrhain – Symbol des Welt-Irr-Waldes

Nutzen Sie Ihr bewegt.wohnen-Abonnement doch einmal für einen Ausflug in den Wald zwischen Kraftshof und Neunhof im Knoblauchsland, im Norden Nürnbergs. Am besten kommen Sie mit dem Fahrrad zu diesem außergewöhnlichen Ziel. Außergewöhnlich deshalb, weil es etwas Vergleichbares nirgends auf der Welt gibt. Nur in diesem kleinen Stückchen Wald finden Sie diese Kuriositäten, die einen etwas vom Leben entrückt anmuten. Obelisken, Hütten, der Versuch eines Labyrinthes, eine Bühne. Was hat all das im Wald zu suchen?

Der Irrhain ist eine der Wirkungsstätten des Pegnesischen Blumenordens. Der Blumenorden selbst ist die älteste noch erhaltene Sprachgesellschaft Deutschlands. So etwas wie das Goethe-Institut in Miniatur. Seine Gründung geht der Sage nach auf eine Doppelhochzeit in der Familie Tetzel 1644 zurück. Wie bei Hochzeiten auch heute noch üblich, sollte es unterhaltsame Einlagen geben. Zwei Dichter wurden einbestellt, die sich einen Wettstreit um das schönste Gedicht lieferten. Der Sieger sollte einen Blumenkranz erhalten. Doch die beiden waren sich nicht einig, wer von ihnen der bessere Dichter war. Beide gaben sich gegenseitig den Vorrang. Schließlich nahm sich jeder nur eine Blüte aus dem Kranz und die beiden gründeten eine Vereinigung, der sich andere Poeten anschlossen und deren Symbol die Blumen sind.

Die Damen und Herren trafen sich fortan im westlichen Pegnitzgrund – eine Tafel weist noch darauf hin, aber man muss gut aufpassen, um sie zu entdecken. Von diesem Versammlungsort leitet sich der andere Teil des Vereins ab: Pegnesisch. Die Poeten beschäftigten sich mit Sprache, Gedichten und Geschichten und wohl auch mit anderen Dingen, um sich vom Krieg abzulenken, denn eines Tages kommen sie nicht mehr auf das Grundstück: der Eigentümer hat sicherheitshalber einen Zaun darumgezogen. Die Pegnesen mussten ihr „Poetenwäldchen“ verlassen. Wohin sollen sie gehen?

Martin Limburger, Pfarrer in Kraftshof und Gründungsmitglied, weiß Rat: In der Nähe seiner Kirche wurde ein Eichenwald abgeholzt und nur noch Gestrüpp blieb übrig. Die Pegnesen schaffen Ordnung, richten den Wald her, wie Künstler dies tun. 1681 erhalten die Pegnesen den Wald für immer geliehen.

Die Pegnesen stellen Laubhütten auf, in die sie sich zurückziehen können, aber auch eine Gemeinschaftshütte wird gebaut. Ein Labyrinth entsteht, um die Irr-Wege des Lebens zu zeigen. Zum Irrhain gibt es keinen Wegweiser, nur Eingeweihte wissen Bescheid. Das ist auch heute noch so. Folgt man dem Weg „Irrhainstraße“ kommt man überall an, aber nicht im Irrhain. Man muss fragen.

Dann aber steht man an der Pforte, auf der es heißt „Irret nicht!“ und blickt auf eine Allee mitten im Wald. Wald im Wald. Tritt auf Kieswege hinein in den schattigen Irrhain. Das Labyrinth verfällt im Lauf der Zeit: die Bäume lassen kein Licht mehr auf die niedrigen Hecken. Der Irrhain wird zu einem naturnahen Park.

Gedenktafeln und Obelisken erinnern an ehrwürdige Mitglieder und an Friedrich Schiller, der im 19. Jahrhundert sehr beliebt war.

Ohne den Pegnesischen Blumenorden gäbe es den Irrhain nicht und auch nicht mehr. Der Verein kümmert sich um den Erhalt dieses eigentümlichen Biotops. Ohne den Irrhain gäbe es aber wahrscheinlich auch den Verein nicht mehr. Im 18. Jahrhundert lösten sich die meisten Sprachgesellschaften wieder auf, egal ob in Deutschland, Holland oder Italien. Auch der Pegnesische Blumenorden war bedroht von Auflösungstendenzen. Da man sich aber als Akademie verstand und sich um den Wald kümmern musste, blieb man zusammen.

Heute laden die Pegnesen zu zahlreichen literarischen Veranstaltungen in den Irrhain und immer am ersten Sonntag im Juli zum legendären Irrhainfest. Da gibt’s zum Beispiel Stadtwurst mit Musik: in die eine Hand bekommt man einen halben Ring Stadtwurst und in die andere eine Semmel. Beides kann man im Wald beim Live-Konzert eines Hausorchesters verzehren. Auch der Wettbewerb um den Goldenen Blumentopf wird im Irrhain ausgetragen. Der Blumenorden wirkt aber auch sehr ernsthaft, zum Beispiel in der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums.

Übrigens, einer der beiden Dichter, die zur Hochzeit geladen waren, war Georg Philipp Harsdörffer. Vielleicht kennen Sie den Harsdörfferplatz? Er setzte sich stark für den Gebrauch deutscher Wörter ein und so könnten Sie anstelle einer Korrespondenz auch einen Briefwechsel führen – dafür müssten Sie allerdings Briefe schreiben. Harsdörffer wollte auch, dass die Poeten ihre Gedichte auf Deutsch und nicht nur auf Latein schreiben konnten.

Das Problem war, dass keiner wusste, wie man richtig mit Versmaß und Stilmitteln Gedichte schreibt. Also schrieb er eine Lernfibel. Die fand reißenden Absatz. Der Titel war schön lang: „Poetischer Trichter, die Teutsche Dicht- und Reimkunst ohne Behuf der lateinischen Sprache in sechs Stunden einzugießen“. Merken Sie sich den bitte mal auswendig und gehen damit in die Buchhandlung. Klappt nicht? Nicht schlimm. Die meisten Leute merkten sich aber, dass die Fibel aus Nürnberg kam und was von einem „Trichter“ und so kam er auf die Welt: der Nürnberger Trichter.

Text:   Erika Wirth
Quellen: u. a. Schuster, Katrin „Auf Dichters Irrwegen“ in aviso 1/2013.

Foto: Dieter Barth