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Der Dudelsackpfeiferbrunnen

Lang ist die Liste der Brunnen in Nürnberg. Bis in die Gegenwart hinein wurden hier Brunnen immer wieder kunstvoll gestaltet. Wer kennt ihn nicht, den Schönen Brunnen am Hauptmarkt, der schon auf das 14. Jahrhundert zurückgeht, oder das Ehekarussell, das Jürgen Weber für den U-Bahn-Schacht am Weißen Turm 1984 kreierte.

Doch auch abseits der großen Plätze, in den Gassen, vor Häusern und auf kleinen, fast schon romantischen Orten sind sie zu finden: der Geiersbrunnen, das Gockelmännchen oder die große Brunnenanlage am Heinrich-Böll-Platz in Langwasser. So auch der Dudelsackpfeiferbrunnen am Unschlittplatz, der – wie so vieles – von einer Darstellung Albrecht Dürers inspiriert wurde. 1514 fertigte Albrecht Dürer einen Kupferstich an, der einen Musikanten zeigte mit einem typischen Instrument seiner Zeit: einem Dudelsack. 

Die Geschichte erzählt, dass der junge Spielmann abends zum Musizieren in eine Wirtschaft ging. Musikanten machten das gerne: Die Stimmung in den Wirtshäusern war entspannt, die Geldbörsen öffneten sich schnell, Getränke und Trinkgelder sprudelten für die armen Musikanten. Unser Dudelsackpfeifer zechte ordentlich mit und unterhielt die Gäste. Die waren zufrieden und der Wirt sowieso. 

Es ging ans Zahlen, die Sperrstunde stand vor der Tür, Gäste und Musikant brachen auf, um sich auf den Weg nach Hause zu machen. Unser armer Dudelsackpfeifer aber stellte fest, dass sein Heimweg seltsamerweise viel weiter war als sein Herweg, als er noch nichts getrunken hatte. Erschöpft ließ er sich auf dem Gehweg nieder. „Ich leg mich auf die Gasse nieder, und wenn ich wieder bei Kräften bin, dann geht’s heim“, dachte sich der Musikus und schlief ein – auf dem Trottoir.

Aufgewacht ist er auch wieder. Aber nicht etwa, weil er gut ausgeschlafen war, sondern weil es fürchterlich unter ihm gequietscht, gerumpelt und gerüttelt hat. Nein, ein Erdbeben war es nicht. Unser Spielmann fand sich wieder auf dem Karren der Pestbrüder. Um ihn herum auf dem Wagen lagen nur Leichen und verströmten ihren üblen Geruch. Zu seiner Zeit herrschte nämlich die Pest. Die Menschen starben so schnell und zahlreich, dass man mit dem Bestatten nicht hinterherkam.

Die Nürnberger wollten vielleicht auch gar nicht, dass es so bekannt war, dass in ihrer Handelsstadt eine Seuche herrschte. Das wäre unter Umständen schlecht fürs Geschäft gewesen. Die Regelung war, dass die Verstorbenen bei Dunkelheit auf die Straße gelegt wurden, die Pestbrüder holten sie mit ihrem Karren ab und brachten sie vor die Stadt auf die Friedhöfe von St. Rochus und St. Johannis, wo sie in den Massengräbern ihre letzte Ruhestätte fanden. Dorthin aber wollte unser aufgeschreckter Musikant ganz gewiss nicht. Voller Panik schrie er um Hilfe, doch die Pestbrüder hörten ihn nicht. Erst als er seinem Instrument ein letztes Pfeifen entlocken konnte, waren sie fürchterlich erschrocken und mit all ihrem Mut, den sie aufbringen konnten, schauten sie nach, was in ihrem Totenhaufen los war. So wurde der Musikant befreit.

Er soll noch auf vielen Hochzeiten und Festen aufgespielt, aber nie wieder Alkohol getrunken haben aus Angst, was ihm dann noch hätte passieren können. Wer aber weiß, was ihm passiert wäre, wenn er nicht gewissermaßen „innerlich desinfiziert“ gewesen wäre?

Solche Sagen gibt es in vielen Städten. In Wien zum Beispiel hat der Musikant sogar einen Namen. Augustin heißt er dort und spielt Flöte. Aufkamen solche Geschichten immer am Ende einer Seuchenzeit, wenn die ersten Menschen die Krankheit überlebten und man sehen konnte, dass die Pestwelle weiterzog, wenn das Leben wieder Überhand über den Tod hatte. Aus Freude darüber entstanden die Geschichten und wurden Brunnenfiguren gestiftet.

1880 erwarb August von Essenwein eine Skulptur aus Weidenholz. Friedrich Wanderer modellierte davon ein Modell, das ungefähr halb so groß war und in der Gießerei Lenz wurde die Bronzeplastik schließlich gegossen. Seit 1946 ziert der Brunnen den Unschlittplatz. Vorher stand er an der Tucherstraße, Ecke Heugässchen.

Und der Brunnen hat auch einen Zwilling in Nürnberg: im Hof des Anwesens Lammsgasse 14. Manchmal darf er dort auch plätschern.

Von Erika Wirth

Quellen:
Herbert Maas, Geschichte und Geschichten, Nürnberg 1985
Monatsanzeiger des GNM, Januar 2003, Beitrag von Dr. Kamel

Fotos: Jörg Dorn