Das „Männleinlaufen“
Ja, wo laufen Sie denn? 1000 mal gesehen und immer für ziemlich langweilig befunden. Wirklich? Oder vielleicht doch nur einen flüchtigen Blick zu den kleinen Ganoven hochgeworfen, am End gar nur dann, wenn Besuch da war? Hmmm, schade eigentlich. Die Männlein haben es nämlich sehr wohl verdient, dass Sie ihnen auch mal Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken.
Männlein. Das allein ist schon ein typischer Liebesbeweis der Nürnberger. Alles, was wir mögen oder uns wichtig ist, wird hier klein gemacht: is Waggerla, is Pederla und natürlich die Bratwürste. Bloß der Club, der is a Depp. Und selbst das ist herzlich gemeint. Meistens zumindest.
Also, um welche Wichtigkeiten handelt es sich, die da täglich kurz nach zwölf Uhr so wenig sportlich ihre Runden drehen? Und warum? Und wer sitzt da so gemütlich in der Mitte drin von dem ganzen Sujet? Schauen wir uns die Sache einmal genauer an. Am besten kommen Sie selbst kurz vor zwölf Uhr, damit Sie alles in Ruhe betrachten können. Einen ersten schriftlichen Hinweis in Gold gefasst finden Sie unter dem dicken Herrn mit Krone, Szepter und Reichsapfel: „Die Or ist 1509 Jar volpracht“. Die Or meint die Uhr und das Gesamtkunstwerk. Unter dem Schriftzug ist noch dazu das kaiserliche Wappen mit dem Doppelkopf-Adler.
Es sei verraten, der dicke Mann ist kein Geringerer als Kaiser Karl IV. Er war 1356 gut ein halbes Jahr in Nürnberg, um hier mit seinen Mannen an so was wie der ersten Verfassung Deutschlands zu arbeiten. Verkündet wurde sie dann auch gleich hier. An dieser Kirche. In der Schule lernen wir das noch heute. Das Schriftwerk hat auch einen Namen abbekommen: Goldene Bulle. Na, erinnern Sie sich? In der Goldenen Bulle steht, dass der König (der oftmals der angehende Kaiser war) in Frankfurt gewählt, in Aachen gekrönt wird und in Nürnberg seinen ersten Reichstag abhalten soll. Und jetzt überlegen Sie mal, von wem er da in Frankfurt gewählt wurde? Genau! Von den sieben Kameraden, die da täglich vor ihrem König auflaufen. Und nur und ausschließlich von ihnen.
Die wichtigsten Männer im Lande, nach dem König, als da wären: Zunächst die drei kirchlichen Kurfürsten: die Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz. Sofort dahinter kommen die vier weltlichen Kurfürsten: der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg. Macht sieben. Wichtig, damit es kein Unentschieden gab beim Wählen. Als letzter gab seine Stimme der Erzbischof von Mainz ab. Er war also ein ganz ein Wichtiger, das Zünglein an der Waage. Er war nämlich der Erzkanzler des Heiligen Reichs Deutscher Nation. Deshalb steht er bzw. läuft er neben dem König von Böhmen. Die anderen hatten auch Aufgaben und führen entsprechende Dinge mit, an denen wir sie erkennen können. Der Mainzer trägt eine offene Urkunde mit Siegel. Die Urkunden der anderen beiden Erzbischöfe sind geschlossen. Der erste ist vermutlich der von Trier. Er war der Kanzler von Burgund und wählte als erster. Der zweite Erzbischof ist der von Köln und er war auch Kanzler Italiens. Danach kommt wie gesagt der Erzbischof von Mainz.
Der König von Böhmen ist gut erkennbar an seiner Krone und dem Zepter. Außerdem trägt er einen Becher-Pokal mit Deckel. Er war der Mundschenk. Der Pfalzgraf bei Rhein war der Erz-Truchsess. Er war verantwortlich für die kaiserliche Tafel und die Ernährung bei Hofe. Deshalb trägt er Schüsseln. An sechster Stelle kommt der Herzog von Sachsen. Am Schwert ist er als Erzmarschall, als militärischer Stellvertreter des Kaisers, erkennbar. Zu guter Letzt kommt der Markgraf von Brandenburg. Als Finanzchef oder Kämmerer trägt er einen Schlüssel für die immer schwer zu füllenden Geldkassetten.
Insgesamt dreimal hintereinander laufen die sieben Kurfürsten heutzutage täglich um den Kaiser herum. Niemals drehen sie ihm den Rücken zu. Nein, sie huldigen dem Kaiser und wenden sich ihm zu, als wollten sie sich vor ihm verneigen. Und was macht der Kaiser? Er hebt vor jedem ebenso leicht huldvoll sein Szepter. Sie müssen aber genau hinsehen, sonst erkennen Sie es nicht.
Die Männlein fangen auch nicht einfach so zu laufen an. Es gibt immer eine Vorankündigung, bevor sich ihre Türen öffnen. Insgesamt gibt es deshalb 16 Figuren und nicht nur acht, die es zu bestaunen gilt. Und alle tun etwas. Den Anfang machen allerdings die Uhr bzw. die Glocken. Der Zeiger wandert auf die Zwölf und es schlägt zwölf Mal. Jetzt muss man gut aufpassen sonst hat man das Spektakulum glatt verpasst. Die beiden Fanfarenbläser links und rechts des Throns haben zuerst ihren Auftritt. Sie heben ihre Fanfaren dreimal hoch und stoßen kräftig in ihre Musikinstrumente. Über den Fanfarenbläsern stehen unter der Vier und der Acht an der analogen Uhr ein Trommler und ein Flötenpfeifer. Auch sie haben ihren kleinen Moment der Berühmtheit. Abgelöst werden sie vom Herold, vom Ausrufer: er reißt seinen Mund wirklich weit auf und läutet ein Glöckchen. Zu finden ist er unter der Fünf. Unter der Sieben ist eine Figur mit einer Klappsonnenuhr. Klappsonnenuhren war ein Exportschlager Nürnbergs. Die Figur hielt wohl früher noch eine Sanduhr, ebenfalls ein Nürnberger Massenprodukt, aber die ist weg. Vielleicht kriegt das Männchen dafür mal eine Smartwatch, damit er wieder auf dem Stand der Zeit ist. Nach ihm geht’s dann auch schon mit dem Gerenne los und zwar nicht geräuschlos, sondern ebenfalls mit Glockengeläut. Dafür sorgen die beiden Herren, die ganz oben über der Mondphasenuhr stehen und aufrecht die Glocken schlagen.
Wenn sich die Türen wieder schließen, dann ist der Moment gekommen, wo es sich für Sie lohnt, sich umzudrehen und zu beobachten, was die anderen Bewunderer machen: Sie schauen und schauen und warten immer noch, dass es weitergeht oder etwas Großes passiert. Doch das wird nicht geschehen. Oben an der Frauenkirche ist wieder Ruhe eingekehrt. Wir müssen bedenken, dass das Uhrenspiel von 1509 ist. Vor über 500 Jahren als es noch keinen Strom, keine Autos und keine Flugzeuge gab da sorgte das Männleinlaufen jedes Mal für großen Auflauf auf dem Hauptmarkt. Die Zuschauer waren zutiefst beeindruckt von den Figuren, die sich „ganz von allein“ bewegten. Doch für heute ist Schluss, und die Kurfürsten und der Kaiser haben für fast 24 Stunden Feierabend. Bis zum nächsten Männleinlaufen.
Text: Erika Wirth
Quelle: Kath. Pfarramt „Zu Unserer Lieben Frau“: 500 Jahre Männleinlaufen
Fotos: Stadt Nürnberg/Birgit Fuder, Stadt Nürnberg/Ralf Schedlbauer