Fein in Stein – das Chörlein am Tucherschloss
Und Stopp! Sonst sind Sie bereits an dem Kleinod vorbeigelaufen, so sehr schmiegt es sich an seine Hauswand. 1528 schon erbte Lorenz II. Tucher den Besitz in der Hirschelgasse 9–11. Fünf Jahre später begann der Bau der „grosen, stainernen Behausung“. Eine Sommerresidenz und für besondere Gäste sollte das Haus zwischen den beiden Stadtmauern werden. Elf Jahre hat es gedauert, bis alles nach den Wünschen der Bauherren errichtet war.
Entsprechend den Bestimmungen der Stadt Nürnberg musste die Fassade schlicht gehalten werden. Erlaubte Zierelemente waren Sonnenuhren, Chörlein und Heiligenfiguren. Mit neuen Heiligen an Hauswänden war es aber in Nürnberg vorbei, als sich die Stadt 1525 der Lehre Luthers anschloss. Die Familie Tucher verzichtete auch auf eine Sonnenuhr. Nicht aber auf das Chörlein.
Chörlein kommt von Chor und der Chor ist der wichtigste Ort in einer Kirche, denn dort steht der (Haupt-)altar. Anfangs nannte man die Chörlein Ausladungen, Studiorum oder einfach Erkerlein. Von 1598 stammt der älteste bekannte schriftliche Nachweis für das Wort Chörlein und im 18. Jahrhundert hat sich diese Bezeichnung durchgesetzt.
Die ältesten bekannten Chörlein wurden in Nürnberg um 1400 aus Stein hergestellt. Es sind die sogenannten „Kapellenchörlein“, da sie eben als Kapellen dienten. Beispiele dieser Chörlein können Sie noch in der Stadt finden am alten Rathaus, am Sebalder Pfarrhof oder am Nassauer Haus gegenüber der Lorenzkirche. Gemacht waren sie aus Burgsandstein.
Ab ca. 1500 fertigte man Chörlein auch für andere Zwecke als religiöse Andachten an. Sie waren ebenfalls aus Stein, aber nicht unbedingt nach Osten ausgerichtet. In ihnen widmete man sich seinen Studien oder anregenden Gesprächen und oft nutzte man sie einfach nur um auf die Gasse zu schauen, weil sie meist mit Fensterglas versehen waren, durch das man wunderbar rausschauen konnte und das noch dazu den Raum erhellte. Schauen Sie sich mal das Chörlein auf der Gartenseite des Sebalder Pfarrhofs an oder am kleinen Rathaushof oder eben hier am Tucherschloss.
Natürlich musste man sich auch bei dem Chörlein an verschiedene Vorgaben halten. So waren die Maße festgelegt. Zimmerhoch sollten sie insgesamt sein und im 1. Obergeschoss. Der Nachbar musste außerdem seine Zustimmung geben. Doch unser Lorenz Tucher wäre nicht Lorenz Tucher gewesen, wenn er sich nicht auch bei seinem Chörlein innovativ hätte zeigen wollen und deshalb von Italien hätte inspirieren lassen. Es ist nämlich ein bisschen wie italienische Portale zu Beginn der Renaissance mit rundbogigen Zwillingsfenstern und einem Dreiecksgiebel versehen.
Womit aber verziert man sein Chörlein so kurz nach der Reformation? Wie bringt man den eigenen Glauben und seine Weltgewandtheit schlicht zum Ausdruck? Bescheiden, aber deutlich erkennbar die Weltläufigkeit der Tucher in Gestalt eines Elefanten, der auf der Weltkugel steht. Ein Tier, das wahrlich 1540 in Nürnberg nur wenigen bekannt war. Der Elefant, aber auch als Symbol für Stärke, Treue und Klugheit – auch die der Familie Tucher. Mit dem Elefanten auf der Weltkugel konnten die Tucher zeigen, dass sie weit herumkamen, überall, wo es wichtig war, Filialen und Beziehungen hatten, und wenn es sein müsste, könnten sie auch einen Elefanten besorgen. Trotzdem zeigte man, dass es größere Mächte gibt, und blieb bescheiden. Deshalb sind der Elefant und seine Welt relativ klein.
Viel größer dagegen die Darstellung Adams und Evas und der Schlange. Wir wissen nicht, warum sich die Familie Tucher gerade für dieses Motiv entschieden hat. Vielleicht weil 1536 ein Adam Tucher das Licht der Welt erblickte? Vielleicht weil die Geschichte in der Bibel steht und man damit nichts falsch machen konnte? Wenn wir weiter nach oben schauen, erblicken wir links das Lamm Gottes mit der Siegesfahne als Zeichen der Auferstehung und dass der Sündenfall nicht das Ende ist. Rechts die große Segenshand Gottes. Hier können wir uns den Wunsch der Familie nach Segen für das Haus und alle, die da gehen ein und aus, vorstellen. Ähnlich, wie wir es vielleicht von den Sternsingern kennen. Zum Abschluss ganz oben im dreieckigen Giebel breitet wohl ein Engel seine Fittiche über allem aus.
Am 2. Januar 1945 wurde das Tucherschloss fast komplett zerstört. Das Chörlein überlebte – teilweise. Beim Wiederaufbau entschloss man sich, eine Kopie anzufertigen und an der wieder aufgebauten Hauswand zu errichten. Das Original steht im Hof, wo es vor Regen geschützt an einer überdachten Wand angebracht ist. Egal, ob man auf dem Weg zum Spielplatz, zur Uni oder zum Einwohnermeldeamt ist: das Chörlein lohnt immer wieder einen Blick nach oben.
Text: Erika Wirth
Quellen: www.nordbayern.de - Frankens Forscher
Stadtarchiv Nürnberg: Nürnbergs Bürgerhäuser Fotografien von Fritz Traugott Schulz 1901 – 1926; Nürnberg 2013
Altstadtfreunde Nürnberg: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 39/2014.