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Pilger, Sänger, Reisende: St. Martha – Kirche auf dem Weg

Die Königstraße. Seit kurzer Zeit Fußgängerzone mit geschäftigem Gewusel. Kleine Geschäfte, Kultureinrichtungen und Gaststätten locken die Kundschaft. Selbst ein Fernseh- und Eventkoch lässt die Kochlöffel klingen. Die Königstraße. Straße auf dem Weg zum Hauptmarkt, zu weiteren – noch vorhandenen – Geschäften, zur Burg, den touristischen Attraktionen und zurück die Straße zum Bahnhof.

Meistens hat man es eilig, wenn man in der Königstraße unterwegs ist, weil man irgendwohin möchte. Die kleinen Schönheiten der Straße wie die Marienfigur Adam Krafts (in Kopie) oder die Oasen übersieht man dann schnell. Die beiden Kirchen St. Klara und St. Martha zählen zu den Oasen der Altstadt. Die Marthakirche muss man aber erst mal finden. Sie liegt nämlich etwas versteckt, da sie nach hinten versetzt ist, vom Bahnhof kommend auf der rechten Seite nach einem Brillengeschäft. Seit jeher war sie Anlaufpunkt für Menschen, die unterwegs waren.

1356 beschloss die Familie Waldstromer, ein Spital für Pilger zu stiften. Pilgerreisen erfreuten sich im 14. Jahrhundert großer Beliebtheit. Sie waren der Pauschal-tourismus des Mittelalters. Die Reichen kehrten unterwegs selbstverständlich in Gasthöfen ein oder übernachteten bei Geschäftspartnern. Wo aber kamen die Armen oder Kranken unter, die nach Santiago de Compostela, nach Rom oder gar nach Jerusalem wollten? Sie waren die Zielgruppe der Waldstromer. Am Stadtrand, direkt am Tor zur Straße in den Süden, entstand die Unterkunft, in der auch die kranken Pilger ein paar Tage lang versorgt wurden. Wie zu jedem Spital gehörte auch zu diesem eine Kapelle. Schließlich sollte sich um das Seelenheil gekümmert werden, und ein guter Pilger wollte sich nicht nur körperlich stärken, sondern im gemeinschaftlichen Gebet auch seinen Glauben. So entstand das Pilgerspital St. Martha. Martha war übrigens eine Frau in der Bibel, die sich ziemlich über ihre Schwester aufregte, weil die lieber mit Jesus abhing, anstatt ihr in der Küche zu helfen, um die Gäste zu bewirten. Die Kirche machte sie später unter anderem zur Patronin der Köchinnen und Gastwirte und damit stand ihr ein Pilgerspital ja gut zu Gesicht.1385 ist der erste Teil der Kirche dann geweiht worden. Davon übrig sind noch der Chor, und auch die Fensterbilder stammen ungefähr aus der Zeit von 1385 bis 1410.

525 wurde Nürnberg evangelisch. Die Herberge blieb als Spital in Betrieb, die Kirche wurde geschlossen und anders genutzt: die Nürnberger Messerer übten hier ihren Meistergesang. Martha wurde also eine Meistersängerkirche. Hei, da ging es mitunter zünftig zu. So zünftig, dass der Rat der Stadt 1614 verfügte, dass die Sänger doch besser wo anders proben sollten. An der Außenwand der Kirche haben sich die Herren mit ihren Messern verewigt und etwas hineingeritzt.

Noch heute kommen viele Gäste, die auf dem Weg nach oder von Bayreuth sind, um bei den Wagnerfestspielen vielleicht auch die „Meistersänger von Nürnberg“ zu hören. Und in Nürnberg wollen sie die Originalschauplätze sehen, an denen diese Handwerker gesungen, geübt und getrunken haben. Die Meistersinger wurden zwar aus dem Kirchengebäude geworfen, aber dennoch ist die Musik auch heute dort noch ein wichtiger Bestandteil: Martha ist Spielstätte bei den Internationalen Orgelwochen Nürnberg, die es als Zeichen der Versöhnung seit 1951 gibt. Auch sonst finden häufig Konzerte in der Kirche statt. Viele davon sind kostenlos, damit auch ärmere Menschen in den Genuss kommen können. Die Kirchengemeinde kommt hier ihrem Ursprungsauftrag für Ärmere da zu sein, nach.

Wenn Sie jetzt vor dem Messergekritzel stehen, dann gehen Sie noch mal ein paar Meter zurück und blicken nach oben: Seit dem 6. Januar 2017 ist auf dem Dach der Kirche ein Stern angebracht. Er war ein Geschenk der ungarischen Partnergemeinde in Rumänien. Dort findet man wohl öfter auf evangelisch-reformierten Kirchen einen Stern. Ein Stern, der den Weg weist oder auch das Ziel. Die Gewissheit, dass man an einem guten Ort angekommen ist. Nicht von ungefähr gibt es in der Nähe von Stadttoren häufig ein Gasthaus, das „Zum goldenen Stern“ oder ähnlich heißt. Kennen Sie auch eines?

Für wen war die Kirche nach den Pilgern und Meistersängern das Ziel? Zunächst wieder für Arme, die hier unterrichtet wurden und Gottesdienst feiern konnten. Ab 1800 dann aber für die evangelisch-reformierte Gemeinde. Die Reformierten in Nürnberg kamen, anders als die Hugenotten in Schwabach, Erlangen oder Bayreuth nicht aus Frankreich, sondern aus den Niederlanden und der Oberpfalz. Der Rat der Stadt hat sie nach langem Zaudern und Zögern 1809 auch offiziell als Kirchengemeinde anerkannt.

Die Reformierten haben sich die Kirche so hergerichtet, dass es für sie gepasst hat. Das hat bedeutet, dass rauskam, was noch da war und rauskonnte: die Altäre. Einer davon, der Martha-Altar steht heute in St. Lorenz. Die Glasbilder in den Fenstern sollten auch raus. Allerdings war das so teuer, dass man es bleiben ließ. Bedeutung hatten die meisten Darstellungen für die Reformierten ohnehin nicht. Aber sie lohnen einen Blick oder auch ein intensives Betrachten. Immerhin sind sie über 600 Jahre alt und spiegeln doch das Glaubens- und Weltverständnis der Menschen der damaligen Zeit. Heute wird die Kirche dafür in zahlreichen Reiseführern erwähnt.

Die Familien Schürstab, Rieter, Groß, Stromer, Behaim und Ottnand haben damals die Scheiben gestiftet. Sie zeigen unter anderem Szenen aus dem Leben Jesu. Im 2. Weltkrieg wurden die Scheiben ausgelagert und überstanden so die Bombardierungen. Martha ist insgesamt glimpflich davongekommen. Lediglich das Dach und das Chorgewölbe wurden durch Bombensplitter beschädigt. 1946 wurden bereits die Gottesdienste wieder aufgenommen.

BIs 2014: Am 05.06.2014 geschah, was sich niemand hatte vorstellen können und wovon heute noch niemand die Ursache kennt und auch keiner mehr herausfinden wird: die Kirche brannte über Nacht nieder. Die einzige Kirche der Innenstadt, die den Krieg überstanden hatte, lag in Schutt und Asche. Wie bei Notre Dame in Paris oder anderen Kirchen, wurde gerade renoviert. Nun war ein Wiederaufbau erforderlich und nicht nur eine Renovierung. Die Gemeinde war gefordert: wie soll die Kirche nach dem Wiederaufbau aussehen? Wofür soll sie genutzt werden? Was ist der Gemeinde wichtig? Was fordert der Denkmalschutz? Wer soll alles bezahlen?

Vier Jahre dauerte der Wiederaufbau. Er ist gut geworden. Die Gemeinde ist zufrieden. Der Abendmahlstisch von Werner Mally aus dem Jahr 2000 hatte den Brand tatsächlich unbeschadet überstanden. Auf ihm liegt eine Bibel, in der man gerne blättern darf. Ein Rednerpult und eine Orgel vervollständigen die Ausstattung der schlichten Kirche. Auch die Gäste, die kommen, sich hinsetzen, zur Ruhe kommen und sich vom Trubel der Stadt erholen, fühlen sich wohl. Sie riechen das immer noch frische Holz der Weißtannen aus dem Schwarzwald, ertasten die Kühle der Sandsteine in den Säulen, erwärmen ihre Füße auf der Fußbodenheizung, die unter dem festgestampften Lehmboden liegt, horchen auf die Stille und lassen ihre Augen schweifen zu den Fenstern mit den bunten Scheiben und den Fenstern mit den durchsichtigen Scheiben.

Auch Sie sind eingeladen, diese kleine Oase in der Stadt zu Ihrer zu machen. Der Eintritt ist kostenlos. Die Öffnungszeiten können Sie der Homepage https://www.stmartha.de/11270-281-287-81.html entnehmen oder Sie achten einfach darauf, ob der Aufsteller auf dem Gehweg steht. So führt vielleicht auch Sie Ihr Weg zu einer Kirche auf dem Weg.

Text: Erika Wirth
Quellen: u.a. Krabbe, Dieter: Die St. Martha Kirche in Nürnberg

Fotos: St. Martha