Zum Hauptinhalt springen

Tugendbrunnen - oder: wie bist du denn drauf?

Wie sollen die Menschen sein, die unsere Stadt leiten? Keine einfache Frage, weil man sich kaum überlegt, welche Charaktereigenschaften sie haben sollten. Höchstens, was sie für uns tun und welche Wünsche sie umsetzen sollen. Aber denken wir darüber nach, aus welcher Haltung heraus sie das machen? Eher weniger wahrscheinlich. Vielleicht ist es auch gar nicht so einfach. Oder könnten Sie sagen, wie die Kandidatinnen und Kandidaten sein sollen, die Sie gern im Stadtrat hätten? Welche Eigenschaften sollten sie haben?

1585 hatten die Nürnberger sehr wohl Antworten drauf und haben sie gleich an prominenter Stelle von Benedikt Wurzelbauer in Bronze gießen lassen. Sieben Antworten auf einem Brunnen, der sich gut sieben Meter dem Himmel entgegenstreckt. Umrahmt von Lorenzkirche, Nassauer Haus, Heiligem Lorenz und inzwischen auch von Teufelchen und Schusserbub vervollständigt er den Lorenzer Platz. Hier kamen sie alle vorbei: die Pilger, die zum Grab des Heiligen Sebald wallfahrten, die Kaufleute und Handwerker, die zum Hauptmarkt gingen, und der Kaiser, der seine Burg erklomm. Alle zogen an dem Brunnen vorbei, der die Bevölkerung der Lorenzer Stadtseite versorgte. Ein Brunnen, für den extra eine Leitung vom Sterntor hergezogen wurde, und vor allem ein Brunnen, dessen Säule samt Gestaltung aus Bronze war. Das gönnten sich sonst nur die reichen Nürnberger in ihren Höfen. Alle, die vorbeikamen hielten an dem Brunnen inne, um sich ihn genau anzusehen und schnell zu verstehen, was der Rat der Stadt mitteilen wollte: so sind wir. Vielleicht nicht immer, aber wir streben danach, so zu sein.

Dieses Streben nach etwas Höherem brachte man durch die Bauweise zum Ausdruck. Andernorts baute man schon breit ausufernde Brunnen wie sie die italienische Mode mitbrachte, aber die Nürnberger klebten noch etwas an ihrem dem Himmel entgegenstrebenden gotischen Stil. Selbst Neptun wartete fast noch 100 Jahre, bis er mit seinen Gesellen ein weites Brunnenbecken beziehen konnte.

Einen treffenden Namen hatte der Brunnen am Lorenzer Platz auch gleich weg: Tugendbrunnen. Heute kennt mancher vielleicht das Wort Tugend gar nicht mehr. Wir hören es auch nicht mehr oft in unserem Alltag. Was hatte es mit diesen Tugenden auf sich? Es waren Einstellungen oder innere Haltungen, die man vor allem von Christen erwartete. Also die Werte, die hinter den Handlungen stehen.

Schauen wir uns den Brunnen genauer an. Er erinnert ein bisschen an eine dreistufige Teller-Etagere, auf der Pralinen kredenzt werden. Die Etagere selbst steht mitten im achteckigen Brunnenbecken. Wenn man die Zahl Acht in der Mathematik quer hinlegt, dann steht sie für die Unendlichkeit. In der christlichen Symbolik steht sie für das Leben, und zwar das ewige. Deshalb sind auch alte Taufbecken meist achteckig. Durch die Taufe gelangt der Christ quasi zum ewigen Leben. Wasser, das aus den Brunnen kommt, ist ein Lebenselixier. Der Pfeiler der Etagere wird nach oben hin immer schlanker. Figur schmeichelnd für die sieben Damen darauf. Der Pfeiler sieht aus, als ob er durch die drei Teller oder Podeste hindurch ginge. Auf Pfeiler und Podesten ist so einiges los. Ein Kranich, Knaben, die Posaune spielen, Löwenköpfe, Fratzen von Menschen und Tier, Blumengirlanden, Putti und sieben Frauen. Aus ihnen allen sprudelt das Wasser nur so heraus. Die Frauen haben wie immer eine besondere Aufgabe: sie verkörpern mit ihren Attributen die sieben Tugenden. Die Sieben ist auch eine besondere Zahl, die sich in der Bibel schon ganz am Anfang findet. Hier enthält sie die drei christlichen Tugenden und vier weltliche, die aus ihnen hervorgehen. Fangen wir mal mit den drei christlichen an. Sie sind auch in der unteren Reihe zu finden und grüßen die Passanten, da sie sich zum Weg hinwenden.

Zunächst der Glaube. Ausgestattet mit Kelch und Kreuz ermutigt die Tugend, auf Gott zu vertrauen und auf sein Wort zu hören.

Ihr zur Seite die caritative Liebe oder Nächstenliebe: Sie hält zwei Kinder an ihren Händen. Ein Stadtrat soll nicht seinen eigenen Vorteil im Blick haben, sondern sich empathisch den Menschen seiner Stadt zuwenden.

Die dritte im Bunde ist die Hoffnung. Zuversichtlich soll man sein, dass sich Dinge zum Guten wenden können. Die Hoffnung auf Gottes Beistand in allen Lebenslagen. Die Hoffnung auf Änderung, auf bessere Zeiten, hat wohl schon immer Menschen davor bewahrt, aufzugeben. Die Hoffnung erkennen Sie am großen Anker, auf den sie sich stützt.

Aus der antiken Philosophie hat man die anderen vier Tugenden herangezogen.

Mit einem Wasserkrug ermahnt die Mäßigung, Maß zu halten und bescheiden zu bleiben. Nicht hochmütig und arrogant soll der Rat werden.

Die Geduld hat ein Lamm dabei. Geduldig und ausdauernd muss ein Ratsmitglied sicherlich oft sein, manchmal auch den richtigen Moment abwarten können.

Ein Ratsmitglied sollte nicht wankelmütig sein, sondern selbst in schwierigen Situationen standhaft bleiben und sich bei Gegenwind für seine Sache einsetzen. Dafür braucht es die Tapferkeit eines Löwen. Die Tapferkeit erkennen Sie deswegen am Löwen zu ihren Füßen.

Glaube, Hoffnung, Liebe, Mäßigung, Geduld und Tapferkeit stehen gleichberechtigt nebeneinander auf dem unteren Podest.

Zwischen den sechs Tugenden und der Figur ganz oben spielen Knaben Posaune und halten die Nürnberger Stadtwappen.

Zum krönenden Abschluss hat auf dem obersten Podest die Gerechtigkeit Stellung bezogen. Ihre Augen sind verbunden, damit sie nicht sieht, wer vor ihr steht und alle gleich behandelt. Sie hält Waage und Schwert in ihren Händen und weiß, dass hinter ihr der Kranich wachsam um sich blickt. Wachsam und gerecht sollte auch der Rat der Stadt Nürnberg sein.

Eine gute Tugend gibt es noch, aber die findet sich nicht hier, sondern am Eingang zum Rathaus: die Weisheit. Es ist schon wichtig, vernünftige Entscheidungen treffen zu können. Dafür braucht es die Weisheit. Sie hält am Portal einen Spiegel in der Hand um die Dinge von vielen Seiten betrachten zu können.

1589 war Benedikt Wurzelbauer fertig mit seiner Arbeit. Auch das kann man auf der Säule nachlesen. 

Glaube, Nächstenliebe, Hoffnung, Bescheidenheit, Ausdauer, Tapferkeit und Gerechtigkeit. Das hat sich der Rat damals zugeschrieben. Diese Tugenden oder Eigenschaften sollten Orientierung bieten für ein Leben in Gerechtigkeit und in Gemeinschaft. Wenn man sich die Tugenden so ansieht, wie sie seit über 400 Jahren den Lebensquell Wasser sprudeln lassen und für sich selbst werben, wird man vielleicht nachdenklich: wen wähle ich beim nächsten Mal und vor allem: wie ist es denn um meine eigenen Tugenden bestellt? Woran orientiere ich mich im Leben mit meiner Nachbarschaft, der Stadt und der Gesellschaft? Kann ich vielleicht von den alten Frauen am Brunnen heute noch etwas lernen?

Wenn Sie wieder an dem Brunnen vorbeikommen, dann halten Sie doch auch mal inne und machen sich beim Plätschern des Wassers darüber Ihre Gedanken.

Text: Erika Wirth

Quellen: u.a. Diefenbacher, Michael, Endres Rudolf: Stadtlexikon Nürnberg, Nürnberg 2000
Fleischmann, Peter: Nürnberg mit Fürth und Erlangen, Köln 2003

Foto: Uwe Niklas