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Mit Biene und Eidechse im Einklang leben

In der bebauten Welt der Menschen sind wild lebende Tiere längst heimisch geworden. Sie haben sich urbanen Lebens­räumen angepasst und sich ihre Nischen gesucht. Sie haben dies getan, ohne dass der Mensch sie dabei unterstützt oder sie aktiv in der Bauplanung berücksichtigt hätte. Das soll sich nun bei der wbg Nürnberg ändern.

Deswegen wurde ein Pilotprojekt initiiert, bei dem im Rahmen der Neugestaltung des Quartiers „Langwasser Süd“ die städtische Artenvielfalt aktiv gefördert werden soll. Bei den vielfältigen Planungen werden die Bedürfnisse der Tiere entsprechend berücksichtigt und integriert. Bekannt geworden ist dieses zukunftsweisende Konzept unter dem Begriff „Animal-Aided Design“ (kurz: AAD).

Anja Vierle-Eberhardt und Magdalena Müller stehen am Anfang eines Prozesses. Ihnen ist bewusst, dass es ein langer werden wird. Im Jahr 2018 waren die Planungen für die Modernisierung des Quartiers gestartet. Die Betriebswirtin Anja Vierle-Eberhardt hat die kaufmännische Leitung des Projekts übernommen. Ihre Kollegin Magdalena Müller hingegen, die Landschaftsbau und -Management (LBM) studiert hat und schwerpunktmäßig die Freiflächen verwaltet, hat sich dafür eingesetzt, dass die AAD-Methode überhaupt berücksichtigt wird. Gemeinsam engagieren sie sich nun dafür, dass die Idee umgesetzt wird. Dass die Geschäftsführung voll und ganz hinter dem Vorhaben steht, stimmt sie optimistisch.

Unterstützt wird das Duo von den Experten des Studios Animal-Aided Design mit Sitz in Berlin, das die gleichnamige Planungspraxis entwickelt hat. Für das Projekt in Langwasser haben die externen Berater zunächst einmal das Artenvorkommen in einem Umkreis von rund zwanzig Kilometern bestimmt. Anschließend haben sie „Zielarten“ festgelegt, die bei der Planung künftig im Fokus stehen und deren Bedürfnisse in die Planung integriert werden sollen.

Hier im Quartier sind das insgesamt elf Tier­arten, wie Mauersegler, Stieglitz, Feldsperling, der Große Abendsegler (eine Fledermausart), Zwergfledermaus, Mückenfledermaus, Braunbrustigel, Zauneidechse, die Große Weiden-Sandbiene, das Ampfer-Grünwidderchen (eine Schmetterlings-Art) sowie die Libelle namens Blau­grüne Mosaikjungfer. Sie alle sollen künftig über einen für sie passenden LebensRaum verfügen, der ausreichend Platz, Schutz und Nahrung bietet.

„Wir haben schon immer viel für Tiere getan. Jetzt aber steht ein Konzept dahinter, so dass gezielter vorgegangen werden kann“, sagt Magdalena Müller und

verweist auf die Flächenverantwortung der Unternehmensgruppe, die immerhin rund 1,5 Mio. Quadratmeter (Außenanlagen ohne Dächer und Fassaden) verwaltet. Naturschutz und Architektur müssten Müller zufolge dringend zu einem guten Miteinander finden, damit Verdichtung und Versiegelung nicht zur Gefahr für die städtische Artenvielfalt werden. Denn für Flora und Fauna sei die Stadt enorm wichtig geworden. Sie biete ein vergleichsweise reiches Angebot an Nahrung, ganz unterschiedliche Lebensräume und sei damit ein Hort der Biodiversität. Das umliegende Land indes sei zunehmend biologisch verödet und insektenfrei gespritzt worden, so dass die Lebensgrundlagen fehlen.

Doch was bedeutet die AAD-Theorie in der Praxis und für die Mieter der wbg? „Dass sich der Anblick und die Ästhetik des Freiraums langfristig verändern werden“, sagt Müller. Statt eines auf Standard-Länge getrimmten Rasens und einheitlicher Beete soll es zum Beispiel mehr Wildwuchs und Wiesen geben. Man müsse wegkommen von der althergebrachten Vorstellung, in der Stadt müsse alles ordentlich, gepflegt und sauber sein. Dass dieser Wandel möglicherweise nicht jedem gefallen wird, ist Müller und Vierle-Eberhardt bewusst. „Wir rechnen mit Gegenwind, sind aber von der Notwendigkeit dieses Prozesses überzeugt und werden Kritikern sowie Skeptikern gegenüber positiv auftreten“, so Vierle-Eberhardt.

Ein wichtiger Baustein für die Akzeptanz ist aus ihrer Sicht eine umfassende Aufklärung über den Sinn und Zweck des Animal-Aided Designs. Denn wer verstehen würde, warum etwas getan oder gelassen werde, sei eher bereit, einen Umwandlungsprozess mitzutragen. Dass sie diesen gemeinsam mit den Mieterinnen und Mietern gehen möchten, betonen die beiden ausdrücklich. Damit das funktioniert, haben sie sich bereits Multiplikatoren mit ins Boot geholt, darunter Kindergärten, der Landesbund für Vogelschutz und die Koordinatorinnen der SIGENA-Nachbarschaftstreffs und auch die Teams der KundenCenter. Und wo möglich, sollen Schilder mit QR-Codes in den wbg-Anlagen vor Ort über bestimmte Maßnahmen aufklären.

Müller und Vierle-Eberhardt hoffen, dass sich künftig möglichst viele Menschen für die Artenvielfalt einsetzen und diese aktiv unterstützen, indem sie zum Beispiel Balkonkästen aufhängen und darin bienenfreundliche Blühpflanzen oder Kräuter gedeihen lassen. „Auch kleine Dinge können viel bewirken“, sagt Müller. So seien Igel froh, wenn ihre Laubhaufen im Winter unangetastet blieben, um darin ungestört ruhen zu können. Und im Sommer würden sich die heimischen Braunbrustigel, die übrigens zum Wildtier des Jahres 2024 gewählt wurden, über Menschen freuen, die ihnen regelmäßig Wasserschalen gegen den Durst hinstellen. Insektenhotels an den Balkonen seien ebenfalls hilfreich. „Und man muss auch mal aushalten können, dass im Fassadengrün eine Spinne lebt, Totholz herumliegt oder ein schatten- und feuchtigkeitsspeichernder Baum der Geranienpracht die Sonne raubt“, sagt Müller. All das sei Natur und habe auch innerhalb der Stadt seine Berechtigung.

„Langwasser soll durch die Umsetzung des AAD eine positive Weiterentwicklung erfahren“, sagt Vierle-Eberhardt, die dafür zuständig ist, dass sich all das auch finanzieren lässt. Eine ihrer weiteren Aufgaben ist es, die Planer frühzeitig mitzunehmen. „Wenn es einen Teich für die Libellen in der Nähe einer Tiefgarage geben soll, muss der Statiker das vorab wissen und einplanen.“ Wo immer möglich, solle zudem künstliches Licht vermieden werden. Weil es für nachtaktive Tiere zur Barriere werden könne, erklärt Müller. Außerdem beeinflusse es das Verhalten und den Hormonhaushalt der Tiere. Es störe die natürlichen Abläufe und müsse vermieden werden, wo immer dies möglich sei. Allerdings sei die Sicherheit der Menschen auch bei der Beleuchtung immer vorrangig.

So ist bei der Umgestaltung des Quartiers eines der obersten Ziele: Den Wildtieren und Pflanzen langfristig die Chance zu geben, dort zu überleben oder sich neu anzusiedeln. „Es ist ein Testgebiet, in dem wir in den kommenden Jahren sicher viel lernen werden“, sagt Vierle-Eberhardt. Denn vermutlich werde nicht jede Maßnahme gelingen oder die eine besser als die andere. Hier gelte es, Erfahrungswerte zu sammeln und daraus Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen. So werde Wissen aufgebaut und langfristig ein neues Bewusstsein geschaffen. Dass es bereits jetzt zahlreiche Mieter gebe, die sich vorbildlich für Pflanzen und Tiere engagieren, betonen Vierle-Eberhardt und Müller ausdrücklich. Sie hoffen, dass genau diese Mieter zu Multiplikatoren werden und helfen, andere mit ihrer Begeisterung für den Naturschutz anzustecken.

Dass sich neben beliebten Wildtieren möglicherweise auch die weniger beliebten ansiedeln, sei Vierle-Eberhardt zufolge ein natürlicher Prozess. Sie denkt dabei zum Beispiel an die gern gesehene Libelle. „Wenn wir ihr mit einem Teich einen LebensRaum schaffen, werden auch Mücken und Frösche kommen, die wiederum wegen ihrer Stiche beziehungsweise wegen ihres Quakens keine idealen Mitbewohner sind“, sagt sie und erklärt, dass die AAD-Methode dafür bislang keine Lösung hat und es die wohl auch nicht wirklich geben würde. „Da hilft nur eine gute Strategie, um das zu kommunizieren. Und der ein oder andere Kompromiss.“ Dass Sicherheit dabei immer vorgehe, verstehe sich von selbst.

Deswegen sei es umso wichtiger, das Schöne hervorzuheben und die Mieter dazu zu bringen, in ihrem Wohnumfeld auf Entdeckungsreise zu gehen, sagt Vierle-Eberhardt. „Man sieht ein Vogelnest in einer Hecke oder ein Hase kreuzt den Weg. Das ist wunderbar und trägt zum Verständnis bei.“ 

Während Vierle-Eberhardt sich selbst als Bienenfan bezeichnet, ist Müllers Tier-Favorit die Zauneidechse. „Sie ist echt schön und ist bei uns heimisch.“ Dass Bienen und Eidechsen im AAD-Projekt berücksichtigt sind, freut das Duo. Für das ist die Maßnahme ohnehin längst zu einer Herzensangelegenheit und zu einer großen Leidenschaft geworden.

Text: Nina Daebel

Magdalena Müller und Anja Vierle-Eberhardt in ihrem „Revier“.

Verrottung von Häckselgut in Sündersbühl.

Igel-Laubhaufen, wie diese, sind für die stacheligen Tierchen ein Segen.

Wiesen sollen auch ungemäht stehen bleiben können, wie hier die Wiese an der Görlitzer Straße. Ab und zu ist dann aber doch eine Mahd nötig.

Fotos: Pia Gräser + Magdalena Müller, wbg