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Beton verzeiht nichts!

Wände, Decken, Treppen: Betonkosmetiker sorgen für den einheitlichen und ästhetischen Anblick

Es tut sich was in Nürnberg! Die wbg Unternehmensgruppe errichtet Häuser, Wohnkomplexe und Schulen. Auf den Baustellen sind oft Spezialisten gefragt. In einer kleinen Reihe stellen wir diese „Exoten am Bau“ vor.
Auftakt: Die Betonkosmetiker.

Claudia Krowczynska taucht den Pinsel in den Farbeimer, befeuchtet damit einen Schwamm und betupft schließlich eine Wand der künftigen Bertolt-Brecht-Schule. „Man braucht viel Geduld“, sagt die junge Frau. Sie hat in Polen Kunst und Pädagogik studiert und sorgt nun seit zwei Jahren dafür, dass Wände aus Sichtbeton schöner werden. Ein Paradox? Keineswegs.

Denn Beton ist ein so gewöhnliches wie kapriziöses Baumaterial. Er besteht im Grunde aus Zement, zerkleinerten Steinen und Wasser. Dazu kommen Zusatzstoffe, die beispielsweise die Aushärtung beschleunigen oder verzögern. Für die 24 000 Kubikmeter Beton, die für die Bertolt-Brecht-Schule verbaut wurden, haben mehrere Betonwerke geliefert. Jedes hat seine eigene Mischung. Zudem reagiert der Beton in jeder Jahreszeit anders, auf der Baustelle Bertolt-Brecht-Schule wurde im Winter sogar für ihn geheizt.

Der flüssige Brei wird aus den Betonmischern an Ort und Stelle gepumpt und dann in die Schalung gegossen. Dabei umschließt er die Bewehrung – Stahlmatten, die auf Pass und mühsam von Hand verbunden werden und die Tragkraft gewähren – und wird schließlich mit einer vibrierenden Rüttelflasche verteilt. Ein kritischer Prozess: Rüttelt der Arbeiter an der Flasche zu wenig, bleiben Luftblasen im Beton. Als „Lunker“ zeigen sie sich später als Vertiefungen in der Wand. Oder der Mann rüttelt zu viel, dann verliert die Mischung ihre Bindung und der Beton fällt – wie eine Salatsauce – in seine Ausgangsstoffe zurück. Im schlimmsten Fall muss ein Bauteil dann abgerissen und neu gegossen werden.

Der ist allerdings sehr selten. In der Regel stimmt die Stabilität und meist auch die Optik. Sollten kosmetische Verbesserungen nötig sein, kommen Claudia Krowczynska und ihre Kollegen von der Firma Betonretusche zum Einsatz. Seit vier Wochen schon sind sie auf der Baustelle der Bertolt-Brecht-Schule.

Der riesige Komplex besteht aus vier Baukörpern und mehreren Sporthallen. Mittel- und Realschule, Gymnasium und Abendschule sind im Schulzentrum quasi unter einem Dach und bieten Platz für 1800 Schüler. Insgesamt werden bis Ende nächsten Jahres 72 Klassenzimmer, 18 naturwissenschaftliche Lehr- und sechs Werkräume, acht Zeichen- und vier Musiksäle gebaut und eingerichtet.

Die künftigen Flure sind lang wie Sprintbahnen, die späteren Klassenräume sind groß wie Hallen. Auch wenn vergleichsweise wenig Kosmetik nötig ist, machen Wände und Decken von über 16000 Quadratmeter Nutzfläche viel Arbeit: Die Männer und Frauen von Betonretusche schleifen Grate ab, spachteln an den Türöffnungen, gleichen Farben an und übermalen beispielsweise die Bleistift-Markierungen der Elektriker. „Obwohl es überall gesagt wird und auch geschrieben ist, dass die Wände frei bleiben müssen, haben wir auf Baustellen auch schon Pizza-Bestellungen und Telefonnummern gefunden“, sagt Betonretusche-Teamleiter Micha Daniel.

Die Retusche macht sie unsichtbar: Sie kaschiert Schlieren und Schleier im Beton, verdeckt die Abdrücke von Abstandshaltern, die die Bewehrung der Decken in der vorgesehenen Position fixieren. Sie passt Sommer- und Winterbeton farblich an – ja, sogar das Wetter kann die Tönung beeinflussen.

Wer meint, dass Beton nur grau ist, täuscht sich. Bläulich oder grün, mit einem Stich ins Gelbliche – Micha Daniel könnte hunderte Grautöne aufzählen. Und dazu die Schattierungen, die sich über die Flächen ziehen. Er schwärmt: „Beton lebt! Jeder Quadratmeter ist ein Unikat, jede Ecke hat eine eigene Charakteristik.“ Die Retusche liegt darum häufig in den Händen von Restauratoren und Kirchenmalern.

Auch Architekten finden Sichtbeton sexy. Zum einen, weil das Material, mit dem schon die Römer ihr Pantheon errichtet haben, mit seiner hohen Tragkraft den Bau von großen Räumen mit schmalen Wänden und breiten Decken ermöglicht.  Zum anderen weil sich Beton schnell herstellen lässt und er im Idealfall komplett fertig ist, sobald die Schalung abgenommen wird.

In der Bertolt-Brecht-Schule bestehen 80 Prozent der Flächen aus Sichtbeton. Die Architekten haben Wert auf eine filigrane Holzschalung gelegt, die eine feine Maserung im Beton hinterlässt. Auch die unvermeidlichen Vertiefungen der Anker und die Stöße der Schalungsbretter sind nach ihrer ästhetischen Vorstellung ausgerichtet.

Aber ob das schön ist? „Spannend und individuell auf jeden Fall“ findet Michael Weinmann den Beton. Der Projektleiter des Generalübernehmers Züblin AG denkt schon an die Fertigstellung und das Zusammenspiel mit Holz und Glas, das die Schule kennzeichnen wird.

Und Michael Schmidt, der die Schule für die WBG KOMMUNAL verantwortet, ist sicher, dass der Sichtbeton über Jahre gleich und gut aussehen wird. Denn nach abgeschlossener Retusche werden die Flächen mit einer Lösung behandelt, die die Oberflächen verschließt und das Speckigwerden verhindert. „In Unterhalt ist Sichtbeton dauerhafter als alle anderen Oberflächen“, sagt Schmidt. Gerade in Schulen, wo Kinder, Kleider und Taschen an den Wänden entlang streifen und gelegentlich Schuhe dagegen treten, sehe eine gestrichene Wand oft schon nach einem Jahr verboten aus.

Text und Bild: Gabriele Koenig