Steile Sache!
Treppen gehören zu jedem Gebäude – sind aber ein Spezialfall am Bau
Höhenunterschiede lassen sich per Treppe bequem und sicher überwinden, deshalb nutzt praktisch jeder Treppen. Sie sind für uns so alltäglich, dass ihre Besonderheiten selten gewürdigt werden. Dabei stellen gerade sie Architekten und Baufirmen vor echte Herausforderungen.
„Manche Regeln machen es den Planern schwierig“, sagt Jonas Fleischmann. Er ist Architekt bei der wbg und kennt sich mit den Vorgaben der Bauordnung aus. Mindestens ein Meter lichte Laufbreite müssen die Treppen in einem Wohnhaus aufweisen. Die Höhe der Stufen und ihre Tiefe, der Auftritt, sollen bequem sein. Das Geländer darf keine horizontalen Streben besitzen, die Sprossen müssen – um Kinder zu schützen – weniger als zwölf Zentimeter Abstand aufweisen. Nur zum Beispiel. Soll eine Treppe nicht nur den DIN-Normen entsprechen, sondern auch barrierefrei sein, wird es noch komplizierter. So sollte beispielsweise ein barrierefreier Handlauf oval oder rund sein, damit sich Menschen besser festhalten können.
Im wbg-Neubau an der Neusalzer Straße haben die Architekten sich für ein einfaches Geländer entschieden, die Hand umgreift ein glattes Metallband. „Ästhetik und Barrierefreiheit konkurrieren oft, hier ist der Gestaltung Vorrang eingeräumt worden“, sagt Fleischmann. Sie setzt auf elegante Schlichtheit: Die hellgrauen Stufen sind mit Stahlkante abgesetzt, die Stirnwände orangefarben gestrichen.
Der nagelneue Aufgang, der sieben Etagen verbindet, teilt das Schicksal vieler Treppenhäuser. Sie sind als Verkehrswege unverzichtbar, werden aber meist auf das Nötigste reduziert: Denn jeder Kubikmeter umbauter Raum eines Wohngebäudes wird umgeschlagen, entweder auf den Verkaufspreis oder auf die Miete. Das macht die Spielräume eng – für die Dimensionierung wie für die Finanzierung. Ab 2 000 Euro pro Geschoss inklusive Podest pro Etage kostet eine Treppe. Meist werden deshalb Fertigteile aus Beton eingesetzt. Aber, sagt Jonas Fleischmann: „Treppen von der Stange gibt es nicht, jede wird individuell für das Gebäude geplant.“
Und obwohl die meisten Neubauten mit mehr als drei Etagen inzwischen mit Aufzug errichtet werden, haben die Planungsbeauftragten auch die späteren Nutzer im Auge: Sie sollen eine Treppe sicher und bequem begehen können. Dabei orientieren sich Planende noch heute an drei Regeln, die der französische Mathematiker und Architekt François Blondel im 17. Jahrhundert entwickelt hat.
Noch heute ist die menschliche Schrittlänge das Grundmaß. Laut Blondel sollte der Auftritt – also die Tiefe der Stufe – plus zweimal die Steigung, sprich die Höhe der Stufe, 65 Zentimeter betragen. Die heutige DIN-Norm lässt eine Spanne von 59 bis 65 Zentimetern zu. Um eine Treppe sicher zu begehen, sollen Auftritt plus Steigung 46 Zentimeter betragen. Richtig bequem allerdings fühlt sich eine Treppe erst an, wenn Auftritt minus Steigung 12 Zentimeter ergibt. Natürlich sollen alle Stufen einer Treppe gleich hoch, der Belag griffig und die Kanten scharf sein. Spätestens alle 18 Stufen muss ein Podest eine Atempause erlauben.
Bei so vielen Vorgaben ist es schon ein Wunder, dass Treppen immer wieder neu und anders gestaltet werden. „Wendeltreppen sind natürlich die Königsdisziplin“, sagt Jonas Fleischmann. Wo sie gebaut werden – wie im Neuen Museum – geht es darum, Eindruck zu machen. Für Wohngebäude dagegen zählt der Nutzwert. Gerade ist der Wettbewerb für ein Hochhaus mit maximal 18 Geschossen abgeschlossen worden, das die wbg im Rahmen der Bebauung des Areals monopol491 an der Äußeren Sulzbacher Straße errichten will, inklusive zweier Aufzüge und eines Treppenhauses.
Als Fluchtweg bei Feuer ist das Treppenhaus so unverzichtbar wie unumgänglich. Ein Grund dafür könnte sein, mutmaßt Jonas Fleischmann, dass uns seit den Bränden in mittelalterlichen Städten eine Urangst im Nacken sitzt. Wie dem auch sei: Inzwischen haben Sportbegeisterte die steilen Anstiege entdeckt und messen sich bei spektakulären Treppenmarathons.
Mit diesem Beitrag beenden wir die Reihe „Exoten am Bau“ und hoffe, dass wir Ihnen einen Einblick in die vielfältige Reihe von Spezialisten auf einer Baustelle geben konnten.
Text: Gabriele König